Da war er nun, der lang herbei gesehnte Tag.

schon eine Weile war klar, dass ich meine ADHS-Diagnose aktualisieren muss. Die vorhandene wird schon bald volljährig und so wollte ich gleich die sprichwörtlichen Nägel mit Köpfen machen und aus der Verdachtsdiagnose ASS, bei der Gelegenheit, gleich eine „richtige“ machen.

Dazu hab ich mich schon vor längerem in einer psychiatrischen Ambulanz beworben und um Abklärung gebeten. Ich hab der Dame erzählt, dass meine Konzentration und Kompensationsfähigkeit momentan wieder absolut  furchtbar sind. Das ganze sogar telefonisch. Wer mich kennt weiß, dass schon verdammt viel Leidensdruck dazugehört, bis ich mit fremden Menschen telefoniere. Man war aber sehr freundlich zu mir, hat mir den Ablauf erklärt……. Und um viel Geduld gebeten. Nunja, Geduld ist jetzt nicht gerade eine meiner Stärken, aber ich war ja darauf vorbereitet. Man rechnete mit Februar -März.

Als vergangenen Dienstag dann der Anruf kam, man könne mir direkt für heute einen Termin anbieten, wusste ich ehrlich gesagt erst nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Da war er nun. Dieser Tag. Herbeigesehnt und doch beängstigend. In dieser Woche war ich noch viel nervöser als sonst, ich schlief schlecht. Schlafen ist bei mir ja oft eh so eine Sache, die nicht ganz ideal läuft

Heute Morgen hab ich um 4.30 Uhr dann beschlossen, es einfach sein zu lassen. Hab mir einen großen Kaffee gemacht, mir Papier und Stift geschnappt und begann meine Gedanke zu ordnen.

Was möcht ich sagen….. Was lieber nicht….Offensiv? Passiv? Einen „Fahrplan“ durch das Gespräch. Ich brauch dieses Gefühl der Kontrolle. Zu wissen, was kommt.

 

9 Uhr

Da sitz ich nun, in einem kleinen gemütlichen Büro. Mir gegenüber eine sympathische Frau in etwa meinem Alter. Mein Block mit dem „Fahrplan“ fest in der Hand.

„Hallo Frau *Oxymoronchen*. Schön, dass sie da sind. Wie darf ich ihnen helfen?“

Ich bekomme keinen Ton heraus. Schon merk ich wie mein Hals von innen schwillt. Momente später… immernoch stumm, aber bereits in Tränen ausgebrochen… Sie reicht mir Taschentücher, schaut eine Weile geduldig zu wie ich mich langsam wieder beruhige. Wir kommen ins Gespräch. Ich entschuldige mich gefühlte tausend mal für meinen Gefühlsausbruch. Es ist mir unangenehm. Ich weine normalerweise nicht (nicht, dass es keine Gründe dafür gäbe….) solche Emotionen bleiben normalerweise in mir drin.

Das Gespräch kommt in Gang. Sie hört zu und stellt ihre Fragen. Es läuft gut, ich fühl mich ernstgenommen und bin froh, nicht doch noch kurzfristig abgesagt zu haben.

 

Als ich die Ambulanz verlasse, war ich mental am Ende und fühlte mich außer Stande, Auto zu fahren. Ich fahre eigentlich viel und gerne. So lief ich noch gute zwei Stunden durch die Stadt, um mich ein wenig zu sortieren….. Nicht besonders erfolgreich.

Ich bin irritiert. Der Termin lief sehr gut. Man nahm mich Ernst und versicherte mir, mir zu helfen und mich zu unterstützen. Dennoch fühl ich mich, als wäre ich körperlich und geistig, Marathon gelaufen. der Tag ist durch.

 

 

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Gastbeitrag: Die Sicht einer NT Mutter

Neulich fragte oximoronchen in einem Forum, wie denn die NT – also die neurotypischen – Leser der bunt gemischten Gruppe die Autisten wahrnehmen würden.

Recht spontan kam mir folgender Gedankengang, den ich hier gerne beitrage.

Wie nehme ich Autisten wahr?

Ich bin Mutter, NT (denke ich), mit Aspi Kind 1 (14 Jahre alt), Verdachts-Aspi Kind 2 (12 Jahre alt) und (ziemlich sicher) NT-Kind 3 (8 Jahre alt) plus (NT??) Mann.

Das Gerade-Aus Denken der Aspies erscheint mir mitunter als ‚um die Ecke‘ Denken. Dabei ist es eigentlich umgekehrt. Je mehr ich mich drauf einlasse, desto besser verstehe ich es und merke, wie inkonsistent wir NT’s eigentlich sind. Es liegt eine grosse Wahrheit darin, wie ihr die Welt seht.

Ich merke, wie schwierig es ist, diese Besonderheit anderen, den Menschen in unserem Umfeld, wirklich klar zu machen.
Ich selbst habe die Diagnose von Kind 1, die erst vor 15 Monaten gestellt wurde, anfangs sehr locker genommen, im Sinne von „Aha, Asperger“ *label* so wie man sagen würde „Aha, Lungenentzündung“ und so wie danach kommt „das wird schon wieder“.

Man beginnt zu lesen und sich damit zu beschäftigen. Und je mehr man lernt, je mehr man sich involviert, desto mehr wird klar: die Tragweite ist ja

u n g l a u b l i c h !

Ich bin eine, die viel liest und fragt und recherchiert. Und ich habe das Gefühl, es eröffnet sich mir erst, ich beginne erst zu verstehen, gaaaaaanz langsam.

Ich versuche auch, diesen Prozess, den ich für mich wie eine Evolution erlebe, auch für andere NT’s sichtbar zu machen. Ich will, dass sie dieses „Label“ (was nur wenig bis gar nicht Involvierte mit Sicherheit aufkleben) ernst nehmen.

Ich erzähle z.B. der Klassenlehrerin häppchenweise kleine, scheinbar unbedeutende Vorkommnisse, so dass sie erkennt. Langsam.

Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie die Nachbarn (wir wohnen auf’m Dorf) auf der Strasse sich innerlich empören, weil das Kind nicht grüsst.  Mit seinem Alter, wo ist die Erziehung…?

Weil es sich auf sich selbst und den Weg konzentriert. Weil es alles „unnötige“ ausblendet, um normal vorwärts zu kommen und anzukommen. Dabei wissen sie eigentlich, dass es ein Liebes ist. Man kennt sich seit es geboren wurde.

Aber ich kann ja nicht zu jedem hinrennen und vom Autismus Spektrum erzählen. Es passt einfach nicht. Es gehört in dem Moment nicht an diesem Platz, das zu äussern.

Dann rede ich oft von Wahrnehmung, in seiner Welt sein, herumstudieren über die Probleme der Welt, was es blind macht für ein Lächeln und einen Gruss.

Wie ihr seht, habe ich wohl schon den Platz auf dem Stuhl zwischen den Welten eingenommen.

Ich möchte gerne durch „eure“ Gedankenbilder, Alltagssituationen lesen und kennenlernen.

Schöne Momente waren es,

  • wie mein Aspie den „Schattenspringer“ Comics griff, den ich wie beiläufig „platziert“ hatte,
  • wie es ihn bis zu Ende gelesen hat (es liesst schnell und liest nur fertig, was für interessant befunden wird),
  • wie es das Buch *wieder* nahm und *wieder* zu Ende gelesen hat,
  • wie es sich zu mir gesetzt hat, als *ich* endlich dazu kam, es zu lesen,
  • wie es mir synchron Kommentare machte „ah ja, *das* fand ich auch blöd“ oder „ja, genau so geht es mir auch“,
  • wie mir das seine Welt erschloss, Stück für Stück,
  • wie es ihm hilft, dass es erkannt wird,
  • wie es deshalb wieder lachen und froh sein kann,
  • wie es, trotz eines voll verkackten Schuljahres mit allen Tiefen (ohne Höhen), trotzdem wirklich gern zu der gleichen Schule geht (oder gerade deshalb…?),
  • wie es dadurch befähigt wird, so zu sein wie es ist und trotzdem Teil des Ganzen zu sein, weil seine Mitschüler es akzeptieren und die Lehrer ihr Bestes geben.

Ich will mich darauf nicht ausruhen, sondern nie aufhören, alle Seiten zu sehen.

Wie nehme ich „euch“ wahr?

Als extrem integere Menschen. Interessant. Als Herausforderung an „unsere“ Werte. Als Mittler, uns alle auf einen anderen Weg zu bringen.

Klingt das jetzt zu pathetisch? Bitte entschuldigt, aber ich meine es so.

Eure Änätä

Leider hat sich mir noch nicht erschlossen, wie ich Gastbeiträge kommentieren kann, darum tu ich das hier 😃

Es freut mich sehr, dich als Gast in meinem Blog zu haben und ich danke dir sehr, dass du mich (uns) an deiner Perspektive teilhaben lässt.

Oxymoronchen

Stimming

und warum es so wichtig ist.

 

Ich habe kürzlich in einer Elterngruppe die Frage gestellt, wie uns NTs wahrnehmen und ob es spezielle Dinge gibt, die sie gerne besser verstehen würden. Manche Antwort ließ mich nachdenklich werden. Nach und nach werde ich versuchen, die Themen aufzugreifen und sofern meine eigene Reflexion dies zulässt, sie zu erklären.

 

Als erstes möchte ich gerne Erklären, was Stimming ist und wozu wir es gebrauchen.

Bei Stimming handelt es sich um selbststimulierendes Verhalten, welches dem Druckabbau dient. Dies kann alles mögliche sein. Angefangen beim schaukeln, Hände reiben/flattern über das Nägelkauen, aber auch Zehen rollen oder Haut zupfen. Eins haben alle gemeinsam. Sie helfen und dabei, Eindrücke zu verarbeiten und Druck abzubauen. Man kann es wohl mit einer Art Überdruckventil vergleichen.

Ganz lange hab ich an meinen Fingernägeln gekaut. Oft so sehr, dass mein Nagelbett geblutet hat. Mir war bis vor kurzem nicht klar, dass ich dies tat um mich zu spüren. Es hat mich geerdet und war quasi mein Ventil, wenn mich die Eindrücke mal wieder zu erschlagen drohten und ich mich selbst spüren musste. Es hat sehr lange gedauert, bis mir bewusst wurde, wieso ich das eigentlich tat. Laut meinem Umfeld war es halt einfach eine dumme Angewohnheit, die man sich abgewöhnen muss…….und überhaupt, wie sieht das aus? Eine Frau mit abgekauten Fingernägeln…. Ich hab das so hingenommen.

Heute? Rolle ich meine Zehen und überstrecke sie dabei stark. Manchmal schaukel ich auch mein Becken oder zupfe an meinen Wimpern. Fällt nicht ganz so auf, ist aber genauso effektiv und hat den positiven Nebeneffekt, dass mich keiner nervt.

Ich habe nach wie vor kein gutes Gespür für mich selbst (es wird aber immer besser), aber ich möchte dennoch versuchen, das ganze aus der inneren Sicht zu erklären:

Oft bin ich so voller Eindrücke, Emotionen und auch Unsicherheit, das ich das Gefühl habe, ich müsste davon überlaufen. Hab ich allgemein schon keine gute Beziehung zu meinem inneren Ich, drohe ich in solchen Situationen sie komplett zu verlieren. Die Stimmings helfen mir in solchen Situationen, wieder Stück für Stück die Kontrolle über mich zurück zu bekommen. sind keine Stimmings möglich, kann es also durchaus passieren, dass sich die ganze Sache per Explosion entläd. Sie sind sehr wichtig für mich, den sie helfen mir kurz gesagt schlicht, mich zu regulieren.

 

 

 

 

 

Jammerpost

Die Baustelle.

Zur Zeit bin ich nicht gerne zu Hause, auch wenn dies normalerweise meine „heilige Halle“ ist. Wir bekommen seit Anfang Juni die Straße saniert und das von Grund auf. Natürlich ist mir bewusst, dass dies gemacht werden muss und dass es selbstverständlich nicht geräuschlos geht. So haben wir momentan von 7.30-19 Uhr eine Dauerbeschallung an klopfen, brummen, surren. In allen Tonlagen und allen Lautstärken. Ich freu mich regelrecht darauf, an 3-4 Tagen die Wochen, direkt mit den Kindern das Haus zu verlassen und erst zur Mittagszeit wieder zu kommen. Spätesens nachmittags hat mich der Wahnsinn aber dann trotzdem eingeholt. Ich habe dann das Gefühl, diese Geräusche kaum noch aushalten zu können. Der Kopf schmerzt und oft ist mir schwindelig. Manche Menschen könnten jetzt sagen, dass man dies doch irgendwann nicht mehr hört, das wäre wie die Kirche, die hört man irgendwann auch nimmer…..

Nein? Oh doch! Ich höre sie, wie am ersten Tag.

Die Baustelle, die Kirche, die Vibrationen, den Geruch, das surren von Geräten im Haus, den Kühlschrank, die Heizung, die Bahn, die 500 Meter von hier durch den Ort fährt, das dazugehörende Gebimmel der Schranke, den Pausengong der Grundschule im Viertel.  Alles prasselt ohne Gnade auf mich ein. Meist versuche ich, alles verschlossen zu halten, aber auch das klappt nicht immer und blendet auch nur einige Reize aus.

In so Zeiten bin ich neidisch. Sehr neidisch! Da wünsch ich mir „normal“ zu sein.

 

Mein Reizfilter ist ein Blödman!

 

Grundsätzliches zum Thema

Autismus ist eine Neurodiversität, die geschätzt 1-2% der Bevölkerung betrifft. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass du sogar mehr als einen kennst, dir warscheinlich aber nicht über seine Besonderheit bewusst bist.

Ich vergleiche das ganz gerne mit einem PC oder dem Handy. Dort gibt es unterschiedliche Betriebssysteme Windows, Android….iOS. Alle sind gut und laufen in IHRER richtigen,  technischen Umgebung ideal. Will ich allerdings ein Windowsprogramm auf einem iOS System laufen lassen, wirds schon kompliziert. Nun hab ich 3 Möglichkeiten. 1. ich kann versuchen, das Betriebssystem anzupassen. würd ich lassen, das geht schief. Der PC wird danach wohl nicht mehr besonders stabil laufen. Dieser Metapher steht für den Versuch mancher Therapien, einen Autisten anzupassen und ihn so quasi zum Nichtautisten zu erziehen. 2. ich kann mich damit abfinden, dass es nicht geht und jeden weiteren Versuch sein lassen. Was ich sehr schade fände. Und die 3. und für mich ideale Reaktion kann aber auch sein, mir Informationen plus passendes Programm zu finden mit dem ich die Software integrieren kann, ohne das mein Gerät Schaden davon trägt. Ich gebe also meinem PC ein Werkzeug an die Hand, mit dem er die Software verstehen kann und umgekehrt.

Mit dieser Info ausgestattet verwundert es warscheinlich nicht, dass manches was für neurotypische Menschen einfach ist, für uns schwer bis unmöglich sein kann und aber genauso aber auch umgekehrt. Das ist nur auf den ersten Blick paradox.

Autismus ist kein neues Phänomen und schon garkeine „Modekrankheit“. Es rückt lediglich durch die vielfältigen Medien näher an den Fokus und so ins Bewusstsein von Menschen, die damit bisher kaum bis keine Berührungspunkte hatten. Das Autismus Spektrum gibt es schon immer und in allen Ethnien.

So verschieden und vielfältig die Menschen sind, so ist es auch das Autismus-Spektrum. Es gibt unauffällige, extrem angepasste Autisten, die ihr Leben selbstständig leben, wie auch solche, die ihr ganzes Leben lang auf Unterstützung angewiesen sind.

Angepasst heißt in diesem Zusammenhang aber eher, dass wir eine hohe Kompensationsfähigkeit besitzen. Diese ist dann Fluch und Segen zugleich. Einerseits hilft sie uns, einigermaßen die Welt um uns rum im Überblick zu behalten, andererseits sorgt sie dafür, dass die Problematik komplett verkannt wird, nur weil sie nicht offensichtlich ist. Wir müssen bedenken, Kompensation kostet Kraft…..oft verdammt viel Kraft. Ich kenne Autisten, die morgens schon so viel Kraft brauchen, dass sie kaum wissen, wie sie durch den Tag kommen sollen. Und dennoch. man wird es ihnen kaum anmerken. Dazu fällt mir spontan die Löffeltheorie ein. Auch wenn Autismus selbstverständlich keine Krankheit ist, find ich diesen Vergleich doch sehr passend.

Es ist also oft ein Trugschluss zu vermuten, dass jemand weniger Betroffen ist, nur weil er so wirkt. Gerade wir Frauen wurden meist massiv auf Anpassung erzogen und haben so gelernt, unsere Probleme mehr oder weniger zu verstecken. Einigen gelingt das sogar ihr ganzes Leben lang. Allerdings ist das eher die Ausnahme. Viele, vor allem jene, die sich Ihrer Neurodiversität nicht bewusst sind, beenden ihr Leben durch Suizid. Verständlich irgendwie, wenn man sein ganzes Dasein lang fühlt, als wäre man auf dem falschen Planeten geboren. Diesen Gedankengang kann ich leider nur zu gut nachvollziehen. War er doch immer mein treuer Begleiter. Selbst heute, wo ich mir meiner Situation bewusst bin. Wir begegnen uns heute seltener… aber dennoch regelmäßig.

Sehr viele Autisten meiden die verbale Sprache. Ich selbst, kann zwar reden wie ein Wasserfall, aber wenn ich wirklich was zu sagen hab, dann am liebsten schriftlich.

Die gesprochene Sprache transportiert so viele Infos, die schwer zu entschlüsseln sind (Gestik, Mimik usw.) Ausserdem verlangt sie eine Reaktion in Echtzeit. Da Fragen und Gespräche oft sehr unkonkret ablaufen, habe ich für mich immer zuerst mal das Problem, aus vielen Antwortmöglichkeiten, die richtige herauszufinden und diese dann wiederum in Worte zu verpacken, die mein Gegenüber dann auch richtig einordnen kann (wir erinnern uns an die Software 😉 )

Ich selbst schreibe aus genau diesem Grund wesentlich lieber. So hab ich Zeit meine Gedanken zu sortieren. Auch wenn selbst da dann nur ein Bruchteil von dem zutage tritt, was tatsächlich in meinem Kopf vorgeht.

Meine persönlichen Schwierigkeiten liegen, wie bei so vielen, die andere Reizverarbeitung. Vor allem taktil, akustisch und olfaktorisch. Das heißt, dass vor allem meine Haut, meine Ohren und meine Nase sehr viel anders verarbeiten. die anderen Sinne sind zwar auch betroffen, aber doch nicht in diesem Ausmaß. Bewusst wurde mir das erst, als ich mitte 30 auf andere meiner „Spezies“ stieß. Vorher war ich der Meinung, dass jeder diese Reize in diesem Ausmaß aushalten muss und sich eben nur nicht so dranstellt wie ich……..

Die Sache mit der Empathie…

… ist etwas anders als uns die Klischees gerne weis machen wollen.

Man unterscheidet zwischen affektiver und kognitiver/emotionaler Empathie.

Erstere beschreibt die Fähigkeit, bzw den Instinkt zu erahnen, welche Gefühlsregung gerade im Gegenüber stattfindet. Dies funktioniert normalerweise ganz automatisch und ohne dass bewusst auf Mimik, Ton und Gestik geachtet wird. Es ist ein Impuls (warscheinlich ist ein fehlendes Spiegelneuron verantwortlich) der scheinbar ganz vielen Autisten fehlt. Manche schaffen es zwar, dies sehr mühsam zu lernen, aber es wird wohl immer ein manueller Prozess bleiben, der dann auch sehr viel der ohnehin schon dürftig vorhandenen Energie kostet. Ich stell mir das etwa wie das Vokabellernen bei jemandem vor, der kein übermäßiges Sprachtalent hat.

 

Anders die kognitive Empathie. Es ist die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen und mitzufühlen. Momentan geht man davon aus, dass diese bei Autisten sogar überverhältnismäßig ausgeprägt ist. Die Herrausvorderung hier ist also eher, erst einmal herrauszufinden, was oder wie der Gegenüber fühlt. Wissen Autisten dies erstmal, sind sie meist sogar sehr emphatisch. Deshalb ist eine klare und eindeutige Kommunikation immens wichtig. Zweideutige Aussagen oder die Erwartungen, dass zwischen den Zeilen gelesen wird, enden oft mit einer Entäuschung für den NT, wenn dieser hofft, verstanden zu werden.

 

…..mich selbst betreffend:

Mir fällt es sehr schwer Empfindungen, Emotionen und Motive bei anderen Menschen zu erkennen und dann auch noch richtig einzuordnen. Jetzt könnten nahestehende Menschen einwerfen: „Aber du kennst mich doch schon so lange und gut, dass du es wissen müsstest“……. Ein klares Nein! So gut kenn ich mich meist selbst nichtmal  😉

Ich erkenne die Gefühle und Bedürfnisse meines Gegenüber nur, wenn er mir diese auch ganz klar kommuniziert. Meine affektive Empathie ist also stark eingeschränkt.

Ein Hauptdiagnosekriterium, wie ich heute weiß.

Dies heißt allerdings NICHT, dass ich nicht zu Empathie fähig bin. Im Gegenteil. Meine kognitive Empathie ist sogar so ausgeprägt, dass mich selbst Schicksale von mir weniger nahestehenden Menschen, völlig aus der (inneren) Fassung bringen können. Diesen inneren Zustand dürften allerdings nur die wenigsten bemerken. Ich hab mir sagen lassen, ich wirke sehr kühl, distanziert oder sogar unfreundlich. Dies ist im Normalfall nicht meine Absicht. Meine persönliche definition wäre hier „neutral“.

Bedenke also bitte, wenn du mich das nächste mal für arrogant oder ähnlich hältst, dass dies nur die äussere Sicht auf mich ist.

 

Empathie ist übrigens nicht zu verwechseln mit Sympathie oder Mitleid.

Das mit der Symphatie läuft nämlich sogar recht „normal“…….. (ok, vielleicht sind wir manchmal etwas naiver 😀 )

 

…..und die Sache mit dem Mitleid?

nunja, ich persönlich bin der Auffassung, dass Mitleid den Menschen nicht hilft. Eher im Gegenteil. Es hält sie in einer gewissen Opferrolle und diese finde ich nicht zielführend. Was keinesfalls heißen soll, dass ich nicht mitfühle, das tu ich sehr wohl! Aber meine Intention in dem Fall ist dann doch eher „lösungsorientiert“.

Wirkt auf den ersten Blick natürlich wesentlich kühler, als wenn man jemanden offensichtlich bemittleidet. Soll es aber nicht sein. Mein primäres Ziel ist eher…. wenn möglich, dem Menschen aus dieser für ihn schlechten Situation, herrauszuhelfen.

 

Chaos im Kopf……

….oder wie mir die ADHS den letzten Nerv raubt.

Zum Autismus kommt eine bei mir bereits 2003 diagnostizierte ADHS, die ebenfalls vererbt werden kann. Mein Sohn hat hier die Variante ohne H (Hyperaktivität). Auch bin ich absolut davon überzeugt, dass mein Papa nach eingehender Untersuchung, die selben Diagnosen bekäme. Wir sind uns alle 3 auf eine sehr seltsame Art ganz ähnlich, können aber dennoch…… oder vielleicht genau deshalb, nicht längere Zeit am Stück miteinander auskommen. Was den einen beruhigt oder ihm Freude bringt, kann den anderen in den Wahnsinn treiben. So subtil, dass es Aussenstehenden warscheinlich nicht mal auffällt.

Um zu verstehen, was dabei eigentlich das Problem ist, muss man die ADHS im wesentlichen verstehen.

Die meisten Menschen haben eine Art Vorfilter im Gehirn, der ihnen hilft, wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden, um dann nur noch das wichtige zum Bewusstsein vordringen zu lassen. So ist es normalerweise auch möglich, in Situationen bei der Sache zu sein, wo viele Reize vorkommen. Das kann der Straßenverkehr, eine Party, aber auch einfach der nächste Supermarkt sein. Bei ADHS fehlt dieser Filter komplett. Sämtliche Reize treffen ungefiltert im Gehirn ein. Wen verwundert es also, wenn letztenendes garnichts so richtig ankommt, oder noch schlimmer, das Gehirn regelrecht (sinnbildlich) explodiert. Man sollte bedenken, dass diese Reize nicht nur akustischer Natur sein müssen. Bei mir zB triggert zwar das Akustische durchaus, dennoch sind die taktilen und olfaktorischen Reize noch viel schlimmer. Dinge, die mein Gegenüber also in aller Regel meist nichtmal bemerkt. Ich weiß wiederrum von anderen, dass sie auf visuelle Reize extrem reagieren.

So kommt es vor, dass ich in mitten einer Unterhaltung einfach abschalte. Das passiert einfach und darauf habe ich keinerlei Einfluss, auch wenn ich noch so gerne möchte. Das hat mit Desinteresse oder Respektlosigkeit nichts zu tun. Ich möchte meist sogar sehr gerne folgen, denn wenn ich mit einem Thema nichts am Hut hab, dann sag ich das in aller Regel wahrheitsgetreu. Ich bin in solchen Momenten regelrecht überladen und nicht mehr aufnahmefähig. Für mich fühlt sich das an, als würde man mir einen Glaskasten überstülpen. Getreu dem Motto: ich seh dich, aber das wars auch schon. Menschen die mich nicht oder weniger gut kennen, dürfte das kaum auffallen. Meinem Umfeld sehr wohl. Allerdings wird es da in aller Regel nicht als das angesehen, was es ist….. Und schon ist man wieder desinteressiert und unfreundlich. Ein Dilemma -für mich, wie auch für die anderen Betroffenen.

Bei uns Hyperaktiven kommt noch dazu, dass der Impuls zur Reaktion schneller ist, als die Verarbeitung im Gehirn erfolgen kann. Das heißt vereinfacht, dass ich bereits reagiere, selbst wenn mein Gehirn noch gar nicht weiß, ob und welche Reaktion überhaupt notwendig bzw angemessen ist. Dies hängt mit einem Hormon zusammen, das für den Transport von Informationen zuständig ist.

Blogs

Irgendwann begann ich auch Blogs zu lesen. Als erstes stieß ich auf http://ellasblog.de/ hier entwickelte sich sofort ein unerklärbares Gefühl von tiefem Verständnis. Sie schreibt nicht nur von Dingen, die meinen Sohn beschreiben könnten.

Nein….. sie beschreibt auch viele Dinge, mit denen ich mich sofort identifizieren kann. Ich werde diesen Teil regelmäßig mit Links zu anderen tollen Blogs füllen. Ab und zu mal reinschauen, kann sich also lohnen.

Neurodivers und Chaos im Kopf

Oft werde ich gefragt, wieso ich denke, ich könnte Autistin sein.

Nun, dass bei mir etwas anders ist als bei anderen, ist mir schon sehr lange bewusst. Schon als Kind fühlte ich mich immer irgendwie seltsam und unverstanden. Heute weiß ich, dass meine ganze Wahrnehmung in sehr vielen Bereichen anders ist. Einen Namen bekam das ganze aber erst mit der Diagnose meines damals 9 jährigen Sohnes.

Eigentlich sogar noch etwas später. Nämlich, als ich mir erwachsene Autisten suchte, um mir von ihnen ihre Welt erklären zu lassen. Ich stieß auf viele tolle Menschen. Menschen, die fest im Leben stehen, aber auch solche, die kaum in der Lage sind, sich selbst zu versorgen.

Was mich aber am meisten verdutzt hat war, dass dies Menschen waren, die man zuhauf irgendwoher kennt und bei denen man nie Autismus vermutet hätte.

Mein Klischeebild im Kopf war also endlich (glücklicherweise) erschüttert.

Autismus ist weder Rainman, noch Ben X und auch kein Mercury Puzzle. Es ist eine neurologische Diversität.

Diese Männer und Frauen verstanden mich auf Anhieb….. und ich sie. So traute ich mich irgendwann immer mehr Fragen zu stellen, für die mich mein privates Umfeld wahrscheinlich belächelt hätte. Wurde ich von vielen doch ohnehin schon als etwas seltsam, distanziert und kühl wahrgenommen.

So kam es, dass je mehr ich in diese Materie eintauchte, so vieles in meinem Leben plötzlich Sinn ergab. War es doch lange von Mobbing und Unverständnis geprägt. So gab es dann endlich eine Erklärung über das „Warum“.

Das machte es natürlich nicht besser, aber es half mir, Entscheidungen und Ereignisse noch aus anderen Perspektiven zu sehen (mehr oder weniger)

Ich weiß nun, dass Menschen auch auf einer Ebene kommunizieren, die mir gänzlich verschlossen ist. Ich will mal versuchen, es zu erklären. Mir fällt es extrem schwer, Empfindungen, Emotionen, Motive und Gedanken bei jemandem anderen zu erkennen und selbst wenn ich sie erkenne, richtig einzuordnen. Kurz: Ich erkenne die Bedürfnisse meines Gegenübers nur, wenn er mir diese auch mitteilt. Meine affektive Empathie ist also stark eingeschränkt.

Ein Hauptiagnosekriterium, wie ich heute weiß.

Dies heißt allerdings NICHT, dass ich nicht zu Emphatie fähig bin. Im Gegenteil.

Meine kognitive Emphatie ist sogar so ausgeprägt, dass mich selbst Schicksale von mir weniger nahestehenden Menschen, völlig aus der (inneren) Fassung bringen können.

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